Wir Rassegeflügelzüchter haben uns dem Erhalt der Biodiversität der alten Geflügelrassen verschrieben. Eng damit verbunden ist die
tierschutzgerechte Produktion von Geflügelprodukten in artgerechter kleinbäuerlicher Freilandhaltung für den Eigenbedarf mit Zweinutzungsrassen.
Die private Haltung und Zucht von traditionellen Geflügelrassen, wie sie noch in der
Nachkriegszeit in Deutschland üblich war ist heute weitestgehend nicht mehr Teil des Alltagslebens
der Bevölkerung. Große Teile der Bevölkerung kaufen Geflügelprodukte in Form von Eiern und Fleisch aus industriellen Haltungen
mit hochspezialisierten Hybridlinien in Supermärkten.
Die enge Verbindung von Tier und Mensch besteht bereits seit mehr als 20.000 Jahren, die vom Haushuhn und Mensch seit mindestens
8.000 Jahren. Tierhaltung und Tierzucht sind ein fester Bestandteil der Menschheitsgeschichte und gehören untrennbar zu uns und
werden und wurden als fester Alltagsbestandteil gelebt.
Die industrielle Tierhaltung in den Industrieländern führte zu einer Entfremdung der Tier Mensch Beziehung.
Ein Ziel vieler unserer Vereine ist es dieser Entfremdung entgegen zu wirken. Hierzu gehört nach unserer Ansicht auch das Ausbrüten von
Hühnerküken in Kitas, Schulen und sozialen Einrichtungen. Natürlich erfordern Brutprojekte in Einrichtungen eine sorgfältige Planung,
damit auch eine spätere Unterbringung der Tiere in artgerechter Haltung gewährleistet ist.
Verantwortungsbewusste Pädagogen führen diese Projekte deshalb nur mit entsprechender fachlicher Unterstützung durch Experten
durch, z.B. aus unseren Vereinen. Sie bekommen Eier von Zweinutzungsrassen und die Gewähr, dass die Tiere nach Abschluss des
Projektes ein artgerechtes Leben in Freilandhaltung führen können.
Auch die männlichen Tiere haben bei uns ihre Daseinsberechtigung und werden in Freilandhaltung großgezogen. Natürlich wird dann
ein Teil der Hähne (nach ca. 5 Monaten) für den Eigenbedarf geschlachtet.
Aber ist dies nicht aus Sicht des Tierschutzes eine gute Alternative zum Kauf eines Tiefkühlhähnchens im Supermarkt?
Die Kunstbrut stellt eine traditionelle Art der Brut dar, deren Wurzeln bis in die Antike zurückverfolgt
werden können. Die Geschichte der Entwicklung optimaler Brutstrategien führte zu wertvollen Erfahrungswerten zu den Parametern
Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Position der Bruteier, die sich allesamt an den natürlichen Gegebenheiten während der Brut orientieren
und so einen erfolgreichen Schlupfprozess ermöglichen können.
Der Schlupfprozess stellt eine genetisch verankerte Abfolge von Bewegungen dar, die das schlupffähige Küken, egal ob Natur- oder
Kunstbrut, intuitiv ausführt. Diese beginnen mit dem ersten Anpicken der Eischale mithilfe des sog. Eizahns, werden fortgeführt mit dem
kreisrunden Einpicken des Schalendeckels bis hin zum Hinausdrücken aus der Schale. Wenige
Tage vor dem Schlupf kommunizieren die Küken mit der Glucke und den Geschwistern,
um den Schlupfzeitpunkt zu synchronisieren. Der Schlupfprozess stellt einen großen Kraftaufwand
für das Küken dar, sodass nur lebensfähige und vitale Küken erfolgreich schlüpfen.
Nicht lebensfähige Küken bleiben zumeist im Ei stecken. Dies geschieht ebenso unter der Glucke. Diese hilft den Küken nicht aus dem
Ei, sondern steht auf, sobald alle gesunden Küken geschlüpft sind. Dies macht aus rein evolutionärer Sicht absolut Sinn und ist unter
dem Begriff Survival of the fittest allgemein bekannt.
Als Nestflüchtern stehen Hühnerküken bereits nach dem Schlupf die wichtigsten, arttypischen Verhaltensweisen zur Verfügung.
So ist es ihnen möglich, selbstständig ihre Umgebung zu erkunden und nach
Futter sowie Wasser zu suchen. Dabei orientieren sich die Küken nicht nur an derGlucke, sondern auch an den Geschwistern.
Küken aus der Kunstbrut besitzen ebenso wie ihre Artgenossen aus der Naturbrut die Fähigkeit
arttypisches Verhalten auszuüben und zu erlernen. Hierbei kommt der Prägung eine wichtige Rolle zu. Die Prägung erfolgt in zwei
sensiblen Phasen: Die erste Prägungsphase, auch Nachfolgeprägung genannt, erfolgt in den ersten drei Lebenstagen der Tiere. Dabei
werden die Tiere sowohl auf die eigene Art als auch eine leitende Instanz, im natürlichen Umfeld die Glucke, geprägt. In Abwesenheit
einer Glucke, bspw. bei Verlust der Henne oder in der Kunstbrut, orientieren und prägen sich die Küken auf die sie ständig umgebenden
und gemeinsam geschlüpften Geschwister.
Die Prägung bei Hühnervögeln ist dabei weniger persistent als bspw. bei Wassergeflügel. Eine Fehlprägung von Hühnern auf den
Menschen ist nur bei in Isolation gehaltenen Küken bekannt.
Die zweite Prägungsphase, die sexuelle Prägung, erfolgt zur Geschlechtsreife der Tiere.
Hierbei werden die Tiere auf adäquate Sexualpartner geprägt. Die Geschlechtsreife geht mit
der Erweiterung der Komplexität und Vielfalt der arttypischen Verhaltensweisen, insbesondere des Sozialverhaltens, einher. So können bei
geschlechtsreifen Tieren neue Verhaltensweisen beobachtet werden. Ein Charakteristikum der Sozialstruktur von Hühnern ist die sog. Hackordnung.
Diese wird von einer Gruppe zusammenlebender Hühner (Hennen und Hähne) durch arttypische Verhaltensweisen ausgebildet.
Für Hähne ist die Ausprägung des Territorialverhaltens charakteristisch. Dabei werden Hennen und Revier gegen Konkurrenten verteidigt.
Begibt sich ein fremder Hahn in dieses Revier, kann es zu Konfrontationen kommen.
Dies gilt auch für andere eindringenden, bspw. den Menschen.
Brutprojekte in sozialen und pädagogischen Einrichtungen müssen gut geplant werden, damit sie tierschutzgerecht durchführt werden
können. Für eine Kooperation stehen unsere Vereine gerne zur Verfügung. Denn wir sind davon überzeugt, dass die tierschutzgerechte
Durchführung möglich ist, und davon Tier und Mensch profitieren. Wir sehen es als unseren Auftrag und unsere Pflicht an der nachfolgenden
Generation den tiergerechten und nachhaltigen Umgang mit unseren Mitgeschöpfen zu vermitteln, mit denen wir durch unsere eigene
Entwicklungsgeschichte so eng verbunden sind. Wer einmal selber bei einem so erhabenen
Moment dabei sein durfte, wenn ein Küken das Licht der Welt erblickt, weiß wie ergreifend, prägend und bewusstseinserweiternd
dieses Erlebnis ist. Und ist es nicht eben dieses Verständnis, welches wir uns für unsere Kinder wünschen, damit sie zukünftig Tiere voller Respekt
und Wertschätzung behandeln?
Hier den Artikel als PDF herunterladen.
Dr. Michael Götz
Beauftragter für Tier- und Artenschutz im BDRG
Das Präsidium des BDRG
Dr. Mareike Fellmin
Wissenschaftliche Leiterin Wissenschaftlicher Geflügelhof des BDRG